Gesundheitsminister Spahn zum TSVG am 26.09.2018 im Bundestag
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es muss ein Aufschrei der gesamten Profession erfolgen, was sich da im BMG und bei unserem Gesundheitsminister zusammenbraut. Es ist zu empfehlen, dass Spahn auf allen Kanälen angeschrieben wird, dass kann er nicht machen und es zeugt m.E. von mangelnder Kenntnis über Psychotherapie. Denn in letzter Sekunde hat er einen völlig neuen Passus zur Versorgungssteuerung Psychotherapie im Kabinettsentwurf zum TSVG untergebracht, der bis letzten Montag niemandem bekannt war...
Aber lesen Sie selber der Reihe nach, denn selten sagen Politiker so offenherzig, was sie tatsächlich denken, wie unser Bundesgesundheitsminister Herr Jens Spahn am 26.09.2018 im Bundestag.
Sind Psychotherapeuten wirklich nicht ausreichend kompetent in ihrem Kompetenzbereich? Und benötigen sie wirklich eine neue Versorgungssteuerung, d. h. die "leitende Hand" der Ärzte?
Herr Spahn meint: "Ja!"
Hier ein paar erhellende Auszüge aus seinen Ausführungen vom Mittwoch*:
Spahn: "… Ja, wir haben das Problem in bestimmten Regionen, auch im Zusammenspiel von ambulant und stationär, dass diejenigen mit psychotherapeutischem Versorgungsbedarf, die dringend behandlungsbedürftig sind, nicht in eine ambulante Therapie kommen und dann möglicherweise in verschlimmertem Zustand stationär aufgenommen werden müssen.
Die Wahrheit ist aber: Wenn wir einfach nur 10 000, 20 000 oder 30 000 Psychotherapeuten zusätzlich zulassen, wird das das Problem nicht lösen. Das ist meine feste Überzeugung; das ist die Erfahrung der Vergangenheit.
Wir haben so viele Psychotherapeuten wie noch nie in der Zulassung. Wir haben fast so viele Psychotherapeuten in der Versorgung wie Hausärzte. Und trotzdem steigt mit dem Angebot der Bedarf, weil die Versorgungssteuerung nicht funktioniert.
Deswegen ist der erste Schritt, dass wir zu einer besseren Versorgungssteuerung kommen, dass nämlich im Zweifel diejenigen, die man vielleicht nicht ganz so gern als Patienten im Wartezimmer sitzen hat, die auch etwas mehr Versorgungsbedarf haben, eher einen Termin bekommen als möglicherweise diejenigen, bei denen es etwas angenehmer ist, die Therapie zu machen.
Ich formuliere das alles sehr zurückhaltend, weil ich weiß, dass das mit großen Emotionen verbunden ist und wahrscheinlich gleich der nächste Shitstorm startet. Aber wenn wir das Versorgungsproblem lösen wollen, werden wir über dieses Thema reden müssen."
Spahn: "Vielleicht noch einmal kurz, weil es wirklich ein wichtiges Thema ist, zur psychotherapeutischen Versorgung – ich bin sehr dankbar für den Hinweis auf die ärztliche Versorgung in diesem Bereich –: Ein Psychiater hat im Schnitt 1 000 Patienten im Quartal, in der Psychotherapie gibt es im Schnitt 50 Patienten."
Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: "Das ist ja auch eine ganz andere Arbeit!"
Spahn: "Würden Sie nicht sagen, auch der Psychiater braucht Zeit für seine Patienten? Ich finde schon, dass wir hinschauen müssen, wie denn da das Zusammenspiel und die Vergütungsstrukturen sind." ...
*http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19051.pdf, Zitat von Seite 18ff
In der Konsequenz bedeutet das das Ende des Erstzugangsrechtes für Psychotherapie und eine Erneuerung einer arztgesteuerten psychotherapeutischen Versorgung der Patienten. Die Folgen für Patienten und Psychotherapeuten sind allen bekannt, die bereits vor 1999 psychotherapeutisch behandelt haben: längere Wege zur Psychotherapie, die Notwendigkeit zur Darlegung des inneren Leides zunächst gegenüber dem Hausarzt und dann erst gegenüber dem dann zugewiesenen Psychotherapeuten, usw.
Hier die zentrale Botschaft des Passus um den es an verschiedenen Stellen des TSVG geht:
Die psychotherapeutische Behandlung der gesetzlichen Krankenversicherung soll zukünftig im Rahmen einer gestuften Versorgung erfolgen. Diese neue Versorgungsform ist im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung erforderlich, um den gerade hier festzustellenden besonderen Herausforderungen bei der Gewährleistung eines dem individuellen Behandlungsbedarf entsprechenden, zeitnahen Behandlungszugangs gerecht zu werden.
Sie dient der Flankierung der im Übrigen nicht bereichsspezifischen sonstigen Maßnahmen dieses Gesetzes zur Gewährleistung kürzerer und vor allem bedarfsgerechter Wartezeiten und damit auch der Verbesserung des Krankheitsverlaufs sowie der Reduzierung der Folgekosten eines verzögerten oder in anderer Weise unangemessenen Behandlungsbeginns. Dadurch soll die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Erbringung dieser Leistungen verbessert werden. Das Nähere zur Ausgestaltung des gestuften Versorgungskonzepts wird der Regelungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses übertragen. Damit wird nicht nur die Akzeptanz unter allen Beteiligten der Gemeinsamen Selbstverwaltung gestärkt, sondern infolge der unmittelbaren Sachnähe dieses Beschlussgremiums sicher gestellt, dass die gefundenen Lösungen auch praktisch umsetzbar sind und die gewünschten Erfolge zeitigen. Bei der Implementierung des hiermit gesetzlich vorgegebenen gestuften und gesteuerten Verfahrens wird der Gemeinsame Bundesausschuss insbesondere die Anforderungen an die Qualifikation der für die Behandlungssteuerung verantwortlichen Vertragsärzte und psychologischen Psychotherapeuten zu konkretisieren haben. Hierbei hat er sicherzustellen, dass die Zahl der diese Anforderungen voraussichtlich erfüllenden Leistungserbringer hinreichend ist, um einen nahtlosen Übergang in die gestufte Versorgung zu gewährleisten. Hierzu kann es erforderlich sein, eine Einführungsphase vorzusehen, in der die gestufte Versorgung nur für definierte F- und G-Diagnosen des ICD-10-GM vorgegeben wird.
Denn der Passus zeigt ja nicht nur, das man eine noch engere Patientensteuerung will, sondern auch, dass es darum geht "praktisch zu überprüfen" welcher der anfragenden Patienten überhaupt "seelisch" krank ist und entsprechende RiLI Therapie braucht oder ob es nicht auch mit Beratungsangeboten (z.B. der KK), Onlineprogrammen oder Medikamenten ausreicht. Denn wenn ein Teil gar nicht erst bei PP/KJP aufschlägt, ist das Problem der Versorgung gelöst.
Als von Ihnen gewählte Vertreterinnen in der KBV haben wir am vergangenen Donnerstag/ Freitag sofort reagiert und es ist uns gelungen, eine entsprechende Resolution in die VV der KBV einzubringen, die letzten Freitag stattfand. Diese wurde dort einstimmig verabschiedet. In der Resolution wird dieser Eingriff in die Patientensteuerung abgelehnt.
Antragsteller: Böker, Hentschel, Heunemann, Friedrich-Meyer, Lubisch, Moors, Pielsticker
Resolution der KBV-VV zu Nr. 51 b) (§ 92 SGB V) in der Kabinettsvorlage für ein Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)
Die Vertreterversammlung der KBV lehnt die im Kabinettsentwurf zum TSVG vorgesehene Vorschrift zum § 92 Abs.. 6a SGB V ab. Die Vertreterversammlung fordert den KBV-Vorstand auf, sich für eine Streichung dieser Änderung des § 92 SGB V einzusetzen.
Die im Entwurf formulierten Regelungen zur psychotherapeutischen Versorgung sind in keiner Weise geeignet, die psychotherapeutische Versorgung und die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz zu verbessern! Die gesetzliche Vorgabe, eine gesteuerte Zuweisung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu definierten Behandlungsformen zu entwickeln, würde die Patienten in ihrem Recht auf eine partizipative Entscheidungsfindung hinsichtlich verschiedener Behandlungsformen unzulässig beschränken. Eine gesteuerte Zuweisung zu definierten Behandlungspfaden speziell für Menschen mit psychischen Erkrankungen stellt eine ungeheure Diskriminierung dieser Patientengruppe dar. Menschen mit einer psychischen Erkrankung wird zugemutet, dass sie längere Versorgungswege beschreiten und sich mehreren Fachleuten offenbaren müssen.
Der Entwurf untergräbt die erfolgreichen Entwicklungen in der psychotherapeutischen Versorgung der letzten Jahre; erst 2017 wurde mit der grundlegend reformierten Psychotherapie-Richtlinie eine ‚gestufte Versorgung‘ eingeführt und die Effekte dieser Maßnahme sollten unbedingt abgewartet werden, bevor sinnlose neue Reformen in Gang gesetzt werden. Auch die Kompetenz der exzellent qualifizierten ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten in unserem Land wird missachtet, indem hierarchische Zuweisungswege geschaffen werden und dem Behandler die Indikationsstellung entzogen wird. Diese Maßnahme ist nicht geeignet, den Interessen der Patienten zu dienen, sondern sie soll Kosten senken. Die im Kabinettsentwurf implizit geäußerte Erwartung, dass Wartezeiten verkürzt werden, indem einem Teil von Menschen mit psychischen Erkrankungen durch neue Hürden der Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung versperrt wird, ist zynisch und stellt tatsächlich eine Verschlechterung der Patientenversorgung dar.
Wer die Versorgung wirklich verbessern will, muss Möglichkeiten der Kooperation zwischen Psychotherapeuten und Fachärzten schaffen sowie die Koordination der einzelnen Behandlungsangebote erleichtern und die Ärzte und Psychotherapeuten von bürokratischem Aufwand entlasten.