Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie. Was kommt auf die Profession zu?

Ein kritischer Rück- wie auch Ausblick auf geplante und grundlegende Veränderungen von Bernhard Moors.

Das Thema "Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie" ist nicht neu. Mit der Einführung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) gab es erste Regelungen in den Psychotherapierichtlinien ein Verfahren zur Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie zu entwickeln. Damals sollten zunächst die KBV und die Krankenkassen diese Aufgabe bewältigen. Ziele sollten sein:

 

* Dokumentation psychotherapeutischer Leistungen

* Evaluation von Prozess- und Ergebnisqualität

 

Es folgten erste Beratungen über Dokumentationsbögen zur Psychotherapeutischen Basisdokumentation (PsyBaDo). Diese Verpflichtung wurde aber nie umgesetzt.

 

Der Gesetzgeber hat im § 136a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) einen gesetzlichen Auftrag zur Qualitätssicherung verankert und dann den Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit der Umsetzung beauftragt. Dieser beauftragte in einem weiteren Schritt am 17.07.2014 zunächst das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA) mit der Entwicklung einer Konzeptskizze zur Sektorenspezifischen psychotherapeutischen Versorgung.

 

Identifizierte Qualitätspotentiale waren: Eingangsdiagnostik, Aufklärung, Erarbeitung individueller Therapieziele, Einbezug von Bezugspersonen, Therapiebegleitende Diagnostik, Kooperation

 

Patient*innenrelevante Endpunkte waren z. B.: Symptomlinderung, Erreichen individuell gesetzter Ziele, Verbesserung der Lebensqualität

 

Fazit der AQUA Konzeptskizze ( 17.12.2015): Es fehlten derzeit für eine kurzfristige Etablierung eines umfassenden Qualitätssicherungsverfahren in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung wesentliche Voraussetzungen.

 

Im Rahmen der Strukturreform der Psychotherapierichtlinie (16.06.2016) erfolgt erneut ein gesetzlicher Vorstoß. Ziel im Bereich der Qualitätssicherung soll die Konkretisierung der Dokumentationsverpflichtung sein. Der dazu erstellte sogenannte Dokumentationsbogen wurde nach heftigen Protesten aus der Profession vom Gesetzgeber beanstandet und zurückgezogen.

 

Der G-BA kritisiert allerdings: Die ambulante Psychotherapie unterliegt bis dato immer noch keinen Maßnahmen der gesetzlichen externen Qualitätssicherung - trotz gesetzlichem Auftrag. Dabei befinden sich jährlich ca. 1,6 Millionen Patientinnen und Patienten in einer ambulanten Psychotherapie bei einem der circa 33.000 Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer. Vor diesem Hintergrund beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dann am 17. Mai 2018, das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) mit der Entwicklung eines einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherungsverfahren zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zu beauftragen.

 

Die am 17. Dezember 2015 vom G-BA abgenommene Konzeptskizze des AQUA-Institutes für ein ebensolches QS-Verfahren und die aktuelle Psychotherapie-Richtlinie sollen hierfür berücksichtigt werden. Der Abschlussbericht sollte bis zum 31.08.2022 vorliegen, wobei zunächst der Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie wegen der besonderen Situation ausgeklammert wird!

 

Auf Bundesebene etablierte sich eine Bund-Länder-AG zur Qualitätssicherung in der Psychotherapie (BL-AG QS) der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), um auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen. U.a. beteiligt sind Götz Schwope (VAKJP und Vorstand in der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen) und Bernhard Moors (VAKJP und Vorstand Psychotherapeutenkammer NRW).

 

Um Entwicklungsprozesse beim IQTIG über Entwicklungen aus der Profession heraus im Sinne der Psychotherapeutenschaft beeinflussen zu können, erfolgt der Auftrag an die BL-AG QS: "eine Empfehlung für die Inhalte einer Basisdokumentation in der psychotherapeutischen Behandlung zu entwickeln". Die Empfehlung sollte dabei auf die inhaltlichen Mindestanforderungen einer Basisdokumentation abzielen, ohne damit einen konkreten Erfassungsbogen für diese Basisdokumentation vorzuschreiben.

 

Der 37. DPT am 20.11.2020 verabschiedet diese Empfehlungen zur Dokumentation, s. dazu:

https://www.bptk.de/wp-content/uploads/2020/11/Empfehlungen-der-BPtK-fuer-die-Dokumentation-psychotherapeutischer-Behandlungen-in-der-psychotherapeutischen-Versorgung.pdf

 

Dann folgte die Reform des Psychotherapeutenausbildungsreformgesetzes mit neuen konkreten Regelungen zur Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie:

 

Auf der Grundlage von § 136a SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag, "… bis spätestens zum 31.12.2022 in einer Richtlinie … ein einrichtungsübergreifendes, sektorenspezifisches Qualitätssicherungsverfahren für die ambulante psychotherapeutische Versorgung" zu beschließen!

 

Dabei sind insbesondere geeignete Indikatoren zur Beurteilung der Struktur-Prozess- und Ergebnisqualität sowie Mindestvorgaben für eine einheitliche und standardisierte Dokumentation, die insbesondere eine Beurteilung des Therapieverlaufes ermöglicht sowie zusätzlichen Regelungen, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, festzulegen. Das bereits mit der Aufgabe betraute IQTIG ist weiterhin federführend mit der Entwicklung des QS Systems "ambulante Psychotherapie" beauftragt. Hierbei sollen neben Qualitätsindikatoren auf Basis von Sozialdaten bei den gesetzlichen Krankenkassen und der Dokumentation durch die Psychotherapeut*innen auch Qualitätsindikatoren auf Basis einer Patient*innenbefragung entwickelt werden.

 

Wenn diese Richtlinie eingeführt werden würde, könnten alle Regelungen zum Antrags- und Gutachterverfahren entfallen!

 

Qualitätsindikatoren sollen Auskunft darüber geben, wie definierte Qualitätsmerkmale in der Psychotherapie umgesetzt wurden. Auf diese Weise soll zum Beispiel folgendes erfasst werden:

 

Wurde der/die Patient*in ausreichend über die Indikation einer Psychotherapie informiert?

Wurde über Risiken und Nebenwirkungen einer Psychotherapie aufgeklärt?

Wurde der/die Patient*in über die Einleitung des Therapieendes informiert und das Therapieende vorbereitet?

Ist eine Verbesserung der Symptomatik oder der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfolgt usw.?

 

Am 15.10.2020 veröffentlichte der G-BA einen Zwischenbericht, der die Überlegungen des mit der Erstellung eines QS-Modells beauftragten Institutes für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) darstellt, s. dazu auch www.iqtig.org. Der Beschluss steht auf den Internetseiten des G-BA unter: www.g-ba.de

 

Von den 15 identifizierten Qualitätsaspekten wurden nach dieser Überprüfung 12 für das Qualitätsmodell selektiert. Diese sind:

* Information und Aufklärung zum Therapieverfahren und den Behandlungsoptionen

* Diagnostik

* Informationen zu den Rahmenbedingungen

* Information und Aufklärung zur Diagnose

* Information und Aufklärung zur aktuellen Therapie

* Gemeinsame Behandlungsplanung

* Therapiezielvereinbarung

* Kommunikation und Interaktion mit Patientinnen und Patienten in der psychotherapeutischen Versorgung

* Erfassung und Besprechung des Therapiefortschritts im Verlauf

* Kooperation

* Vorbereitung und Gestaltung des Therapieendes

* Outcome

 

Nicht selektiert wurden die Qualitätsaspekte:

* Therapeutische Beziehung

* Indikationsstellung

* Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung

 

Die nicht selektierten QS- Aspekte werden wie folgt begründet:

Der Qualitätsaspekt zur therapeutischen Beziehung kann im Kontext der gesetzlichen Qualitätssicherung und mit den ihr zur      Verfügung stehenden Erhebungsinstrumenten nicht adäquat abgebildet werden.

Für den Aspekt der Indikationsstellung konnte kein Verbesserungsbedarf identifiziert werden

Für den Aspekt Zugang zur Versorgung wurde zwar ein erheblicher Verbesserungsbedarf identifiziert, dies sei jedoch nicht durch die Leistungserbringer beeinflussbar.

 

An den geplanten Maßnahmen gibt es heftige Kritik, sowohl von den Fach- und Berufsverbänden, als auch von den Psychotherapeutenkammern:

Die Resolution des Deutschen Psychotherapeutentages vom 13./14 November 2020 zeigt stellvertretend die wichtigsten Kritikpunkte auf:

 

1. Qualitätssicherung soll einen aktiven Beitrag zu einer spürbaren und nachhaltigen Verbesserung der Versorgung für die Patient*innen erbringen; Qualitätssicherung ist kein Selbstzweck. Qualität lässt sich besser durch fördernde als durch sanktionierende Maßnahmen weiterentwickeln.

 

2. Eingesetzte QS-Instrumente müssen der Individualität der Patient*innen und ihren Krankheits- und Behandlungsverläufen gerecht werden.

 

3. Ein Qualitätssicherungsverfahren darf nicht zu einer Zunahme von Bürokratie in den psychotherapeutischen Praxen führen. Bereits heute nimmt die Beanspruchung der Psychotherapeut*innen durch die Erfüllung bürokratischer Auflagen einen zu breiten Raum ein. Wertvolle Zeit für die psychotherapeutische Behandlung von Patient*innen geht dadurch verloren.

 

4. Ebenso gilt es, die Grundsätze von Datensparsamkeit, Datenschutz, Wirtschaftlichkeit und Zweckbindung in der Erhebung und Verarbeitung von Daten aus der Qualitätssicherung zu beachten. Flächendeckende Vollerhebungen werden diesen Grundsätzen nicht gerecht und binden dringend in der Versorgung gebrauchte Kapazitäten. Für eine wirksame Qualitätssicherung reichen Stichprobenprüfungen aus.

 

5. Neue Qualitätssicherungsinstrumente dürfen den sicheren und geschützten Rahmen psychotherapeutischer Behandlungen nicht infrage stellen (Genehmigungsverfahren, Vorab-Wirtschaftlichkeitsprüfung, Behandlungskontingente).

 

6. Neue QS-Instrumente müssen zunächst eine Erprobungsphase durchlaufen, bevor sie ausgerollt werden. Die psychotherapeutische Versorgung ist kein Versuchslabor! Bei unerprobten Verfahren leiden überdies Akzeptanz und Qualitätsverbesserung.

 

7. QS-Maßnahmen in Form von Inter- und Supervision werden seit langem gelebt und müssen Berücksichtigung finden.

 

Insgesamt wird die Gefahr gesehen, dass es bei der derzeitigen Entwicklung einer Qualitätssicherung um die Etablierung eines vergleichenden Qualitätswettbewerbs mit dem Ziel eines Benchmarkings der psychotherapeutischen Praxen geht.